Aufarbeitung der Völser Hexenprozesse                                             von 1506 und 1510

Gemeinde Völs am Schlern, Juli 2006

Broschüre zu den Hexenprozessen von 1506 und 1510 im Gedenkjahr 2006


Resonanz in Presse und Rundfunk


Die Abbildung zeigt das von KOMETAL gestaltete Hexen-Mahnmal, für das ich die Inschrift erstellen durfte:

 

"Die Gemeinde Völs gedenkt ihrer vor 500 Jahren als Hexen und Zauberer verurteilten und gerichteten Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ihr Feuertod auf dem Scheiterhaufen der Unwissenheit und Verblendung sei uns Nachgeborenen eine Mahnung und mache uns wachsam gegen Intoleranz und jede Form der Ausgrenzung. Gesetzt von der Dorfgemeinschaft Völs am 7. Juli 2006"


 

06.09.2008, 21:17

Val Gardena, Völs am Schlern

Der Schlernbote: Völs am Schlern gedenkt der Hexenprozesse vor 500 Jahren. Ein trauriges Jubiläum?

 

 


Der Schlernbote: Völs am Schlern gedenkt der Hexenprozesse vor 500 Jahren. Ein trauriges Jubiläum?

Elmar Perkmann: Es ist so traurig, dass mir das Schreiben darüber nicht leicht fällt, und die Fakten sind wenig bekannt, vor allem den Völsern selbst nicht. Jubiläum klingt nach Jubel, und dazu gibt es keinen Grund. Was angebracht wäre, sind Scham und Aufarbeitung.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit diesem unrühmlichen Kapitel der Geschichte. Was fasziniert Sie an dem Thema?

Als Geschichtelehrer komme ich jedes zweite Jahr mit dem Thema in Berührung. Wir können vor der Haustür sozusagen Fallstudien betreiben, wenn wir wollen, und brauchen nicht auf andere männliche Zauberer wie das Pfeifer-Huisele und den Lauterfresser auszuweichen. Da ich mich mit der Geschichte von Schloss Prösels, das Sitz des Landgerichts Völs war, intensiv beschäftigt habe, rührt ein Teil meiner Motivation zur Hexenforschung daher. Gott sei Dank gibt es Akten und einiges weniges erhaltenes Material. Das Hexenbild, das bei uns allgemein vermittelt wird, hat nichts zu tun mit der Realität. Das ist eine Verniedlichung, eine Verharmlosung, ein Lächerlichmachen. Man denke an Stoffhexen, die überall hängen oder an Hexen als Maskottchen. Es hat auch Galgen und Pranger im Dorf gegeben, und da macht keiner Witze darüber.

Wie kam es zu den Völser Prozessen und worum ging es in diesen?

Man muss davon ausgehen, dass die Völser Prozesse von 1506 und 1510 vom Gerichtsherrn inszeniert worden sind. Die Kirche hatte nicht direkten Anteil daran. Leonhard von Völs, damals Landeshauptmann an der Etsch, hatte im Auftrag seines Landesherrn und (ab 1508) Kaisers Maximilian gegen die Republik Venedig Kriege geführt. 1505 hatte es im nahen Cavalese einen Hexenprozess gegeben. Ich nehme an, dass Leonhard dadurch Zugang zu dem Thema bekam und sensibilisiert wurde, Anzeigen, die sowieso vorlagen, aufzugreifen und damit die Basis für spektakuläre Prozesse zu schaffen. Man muss wissen: Leonhard trat ausschließlich kräftig auf. Unspektakuläre Spielchen waren für ihn nicht interessant. Ich nehme an, dass er den König bzw. Kaiser an seiner Seite hatte. Eine direkte Motivation für die Hexenprozesse hat es laut bestehender Aktenlage vielleicht nicht gegeben. In der Malefizordnung von 1499 steht, dass auf Ketzerei der Tod durch Verbrennung steht. Vergehen der Hexerei waren gleichgesetzt mit jenen der Ketzerei. Das bedeutete, dass durch eine Anzeige jede Person (mehr oder weniger Frauen) vor einem Sondergericht landete.

Was hatte man den Angeschuldigten vorgeworfen?

Es sind Prozessakten von sieben Frauen erhalten geblieben. Von einer achten Frau weiß man mit Sicherheit, dass auch sie verurteilt wurde. In den Prozessen besonders relevant war der Tatbestand des Teufelspaktes. Ein diesbezügliches Bekenntnis liegt bei allen vor. Auch haben alle Beschuldigten entweder Kinder selbst herbeigeschafft oder von anderen herbeischaffen lassen, getötet und gegessen. Die Frauen gestanden auch so genannte Ausfahrten – in Teufels Gefolgschaft – auf hölzernen Gegenständen wie etwa Bänken, Stühlen, Besen oder Stöcken. Eine sagte, sie sei auf einer Kuh geritten. Die Vorwürfe lauteten zudem auf zauberischen Kindsmord, Teilnahme an Festen auf bestimmten Teufelstanzplätzen, Wetterzauber, Schadzauber, Unzucht mit dem Teufel oder etwa Diebstähle von Lebensmitteln. Anna Jobstin wurde vorgeworfen, sie sei mit dem Teufel vermählt worden und die Königin von Engelland gewesen.

Was war ein Teufelspakt?

Der Teufelspakt unterlag gewissen Formeln. So meldete sich der Teufel in einer persönlichen Notlage der betreffenden Person in irgendeiner Verkleidung und versprach die Lösung ihrer Probleme (Gut und Geld), wenn sie ihm untertan ist und Gott, die Jungfrau Maria und alle Heiligen verleugnet.

Hat es so genannte Dämonenversammlungen und Hexenflüge tatsächlich gegeben?

Wir sind weit davon entfernt zu verstehen, was tatsächlich abgelaufen ist. Gewisse magische Elemente könnten durchaus im Spiel gewesen sein. Es gibt zweifelsohne Parallelen zwischen damaligen magischen Praktiken in Tirol und solchen, die heute noch beispielsweise in Form des Voodoo-Zaubers in Brasilien angewandt werden.

Wie kamen die Geständnisse zustande?

In der damaligen Polizeiordnung waren drei Arten von Folter vorgesehen. Die erste war, Daumenstöcke anzulegen. Die zweite Variante war die „kluege“ Schnur, ein extrem schmerzhaftes Fesseln bis auf die Knochen, und die dritte das Aufziehen, wobei der gefesselte Körper so gezogen wurde, dass es zu Bänderrissen und Brüchen kam. Bei diesen Folterungen wurden immer neue Geständnisse und Namen aus den Angeklagten herausgepresst. Die Praxis bei Hexereiverbrechen war, die Folter unbeschränkt zu wiederholen, auch nach dem Geständnis. Dabei wurde alles fein säuberlich notiert: „Mit und ohne Marter hat sie bekannt ...“ Für die verschärfte Folter hat man einen Spezialisten aus Meran geholt, denn die Gerichtsdiener durften bestimmte Folterungen nicht selbst ausführen.

Wer hat die Frauen angezeigt, wer waren die Richter, wer die Geschworenen?

So leid es mir tut, es waren wahrscheinlich mehrheitlich Frauen, die die Frauen angezeigt haben, im nachbarschaftlichen Konfliktfeld. Berthold von Lafay war Richter im ersten, Lienhart Peysser im zweiten Prozess. In beiden Prozessen gab es elf Geschworene, obwohl die Prozessordnung zwölf vorsah. So absurd es klingt, heute würde man einen Formfehler geltend machen. Die Geschworenen waren namhafte Völser Bauern, und pikanterweise waren ein bis zwei Geschädigte unter ihnen.

Welche Rolle spielte die Religion?

Die Prozessordnung war eindeutig von der Kirche ausgearbeitet worden. Das Handwerkszeug der Inquisition wurde aber auf laizistische Art und Weise angewendet. Obwohl die Kirche das gesamte juridische Know-how lieferte, hat sie sich, vielleicht wegen anderer Probleme, zurückgehalten.

Was weiß man über die Hexenverbrennungen?

Man weiß nicht einmal, wo diese stattgefunden haben, nur dass und wie. Im Boden wurde ein Pfahl verankert, rundherum wurden Reisigbündel und Holzscheiter aufgeschichtet und die Person wurde im Büßerhemd an den Pfahl gekettet. Wenn der Verurteilten ein Pulversäckchen umgebunden wurde, galt das als Gnade, sie ist nämlich dann gleichsam explodiert, was die Tortur verkürzte. Von einer „leichteren Form“ der Verbrennung kann man sprechen, wenn die Verurteilte zuerst enthauptet oder erdrosselt und dann verbrannt wurde. Die Urgichten, aufgeschrieben in den Jahren 1506 und 1510, stammen von sieben Frauen aus Völs, Obervöls, Ums und St. Konstantin und sind zusammenfassende Schlussgeständnisse, die für die öffentliche Verlesung vor der Urteilsverkündung bestimmt waren. Bevor die Urteile feierlich verkündigt wurden, hatten die Angeklagten „ihre“ Geständnisse zu bekräftigen. Dann wurde die Person zur Richtstätte geführt und vom Henker gerichtet. Dies fand alles öffentlich statt im Sinne einer pädagogischen Zeigefingertaktik.

Welche Botschaft soll uns das „Gedenkjahr“ geben?

Dass wir uns bewusst werden, dass wir auch in der heutigen Gesellschaft alle anfällig sind für Besagungen, für bösen Leumund, für Ausgrenzungen von Andersdenkenden oder Nichtkonformen, für Verurteilungen und die Suche nach Sündenböcken. Wir haben im Grunde aus der Geschichte nichts, sagen wir: wenig, gelernt.



Quelle: Elmar Perkman, Völs, historyman



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Die Hexenprozesse in Tirol
„Unser Land“: Eine Radiosendung in RAI Bozen vom 25.4.2007 mit Heidi Tschenett. Speziell werden in einem Interview mit dem Autor die Hexenprozesse auf Schloss Prösels von 1506 und 1510 thematisiert.
Hexenprozesse.mp3
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